DER! DIE! DAS! WER? WIE? WAS? Der Fünfjährige, auf den aufzupassen Kilian seinem bärenstarken aber alleinerziehenden Freund von Greenpeace versprochen hatte (wahrscheinlich näherte der sich gerade der Wiederaufbereitungsanlage Sellafield, von See her kommend, in mundaufgeblasenem Schlauchboot), zuckte beim Intro der Sesamstraße wie unter Peitschenschlägen zusammen. WIESO? WESHALB? WARUM? WER NICHT FRAGT, BLEIBT DUMM! Kilian hätte das Kerlchen gern getröstet; es sah angesichts solcher banausischer Maximen reichlich verbittert und den Tränen nahe aus. Aber er hatte halt immer noch den Hörer am Ohr, seit über eine Stunde, und seine Telefonsexpartnerin fand einfach kein Ende mit ihrem ungemein kenntnisreichen Vortrag über die Geschichte der Sandale. Kilian bereute, ihr je gestanden zu haben, Fußfetischist zu sein. Da ein Kind im Raum war, versuchte er geflissentlich, obzöne Ausdrücke zu vermeiden, das war halt die Erziehung, alte Schule, das ging einfach nicht raus, obwohl es ohne Frage lächerlich war – die Jugend von heute hat sich doch spätestens mit Abschluß der Krabbelgruppe die Hörner abgestoßen. Zu einer Zeit, als unsereins noch seine Rassel besabbert hat, machen die heute schon den schwarzen Gürtel in Kamasutra, schnaubte Kilian. Der Fünfjährige zeigte Kermit dem Frosch den Mittelfinger und murmelte: »Na, Kleiner, war's schön heute in der Vorschule? Ja, Papa. Und was habt ihr gemacht? Frau Pausewang hat gefragt, ob wir schon wissen, was der große und der kleine Zeiger bedeuten. Und was hast du geantwortet? Ob sie auch der Ansicht sei, Stephen Dabbeljuh Hawking habe mit seiner Theorie der Raumzeit den Widerspruch zwischen Heisenberg und Einstein auf höherer Ebene aufgelöst. Tu mir den Gefallen, Papa, und interessier' dich nicht für mich. Mama hat dich entlaubt, halt' du dich bitte an der Außenwelt schadlos. Mind you, ich sehe keinem von euch beiden ähnlich. Und ins Bett mach ich auch nicht. Also schwirr ab, Clark Kent. Aber vergiß die Brille nicht.« Kilians Ohr-Muschi war erst bei der Fußbekleidung Kleopatras. Wenn das so weiterging, wäre sie bei den HEUTE-NACHRICHTEN noch nicht mal im Hochmittelalter. Da klingelte es. »Es klingelt!« rief Kilian beglückt und stürmte zur Tür. Ein Kurier übergab ihm keuchend ein riesiges Paket mit amerikanischem Absender. Kilian wuchtete es ins Wohnzimmer. Ihm schwante etwas, er wußte nicht, warum. Und richtig, die Briefmarken zeigten lauter Bananen, der Poststempel war ein knappes Vierteljahrhundert alt. Obwohl er nicht für ihn bestimmt war, öffnete Kilian den monströsen Würfel, ohne zu zögern. Der Inhalt überraschte ihn nicht: Ein Skelett in gekrümmter Haltung, mit gespaltenem Schädel, in verwestem Gestaube. Das war zwar nichts als ein Song der Velvet Underground gewesen, besser gesagt ein SPRECHTEXT – aber in den letzten paar Jahren war so vieles Wirklichkeit geworden, warum nicht aus das? Was jetzt geschah, war zwar nicht neu, aber technisch auch beim zweiten Sehen beeindruckend gemacht: Das Skelett erhob sich, der ganze von ihm abfallene Schamott umwirbelte es wie ein Strudel, und binnen weniger Sekunden stand er vor Kilian: Der gute alte Waldo Jeffers, unbeschädigt und tiptop in Schuß. »Hi Waldo«, sagte Kilian in bestem Lou-Reed-Brooklyn-Slang. »I'm ...« Waldo ließ ihn nicht ausreden. Er stellte sich als Terminator der zweiten Generation mit der Fähigkeit zur Selbstreparatur bis auf Quarks-Teilchenebene vor. Er habe den Auftrag, den Adressaten des Pakets zu töten, ansonsten sei zu befürchten, der rette wohlmöglich noch die Welt. »Um Gottes willen«, sagte Kilian, »aber ich bin nur der Babysitter.« »Oh«, sagte Waldo, »dürfte ich mal Ihren Personalausweis sehen? Tja ... das scheint in Ordnung zu sein. Läuft allerdings übermorgen ab, also pronto zum Einwohnermeldeamt, gell? Übrigens sahen Sie mit Mittelscheitel besser aus. Wenn Sie dann bitte mal hier unterschreiben würden, daß Sie NICHT – by the way; hätten Sie wohl eine Ahnung, wo ich den rechtmäßigen Empfänger finde?« Kilian log etwas von Surinam, von Blockade des Baus einer Bambuspipeline für Reiswein, das zumindest war er seinem Freund schuldig. Aber er wußte: Finden würde Waldo ihn sowieso, früher oder später. Waldo dankte, fragte nach der nächsten Bushaltestelle, wünschte noch einen schönen Abend und ging. Nichts zu danken, rief Kilian ihm an der Haustür hinterher und atmete tief durch. Als er zurück ins Wohnzimmer kam, schmetterten gerade die Schlußkommandos der Sesamstraße aus dem Bildschirm. WOZU HABT IHR KOPF UND HÄNDE? DENKT EUCH SELBER MAL WAS AUS! Der Fünfjährige saß geistesabwesend da, gebeugt über eine Zeitschrift für Saunabedarf. Seine rechte Hand steckte zwischen den Beinen seiner Jogginghose, seine linke fingerte nach der Fernbedienung. »Nicht ausmachen!« krähte Kilian. Er wollte erst noch das Sandmännchen sehen.Teksty umieszczone na naszej stronie są własnością wytwórni, wykonawców, osób mających do nich prawa.